Fortsetzung: Brennpunkt Elektrosmog: Strahlenschutz in Deutschland?
Veröffentlicht am 21.05.2020EU-Dokumente fordern ein Moratorium für 5G-Mobilfunk
Bereits bei unserem Gespräch im November 2017 mit Ihnen, Frau Dr. Paulini, forderten wir in unserer schriftlichen Vorlage vorausschauend: „Die unkontrollierte Exposition darf es nicht weiter geben, ebenso keine Frequenzzulassung ohne Begleitforschung, wie es aktuell bei 5G der Fall ist.“ Doch Sie haben keine Forschung eingeleitet. Jetzt erst, nach drei Jahren, wurde eine Tierstudie zu den hohen 5G-Frequenzen ab 26 GHz vergeben, dazu noch an Prof. Alexander Lerchl, der v.a. durch seine aktiven Werbeauftritte für die Mobilfunkindustrie auffällt und von der WHO im Jahr 2011 nicht in das IARC-Bewertungsgremium zugelassen wurde.[32] Für die bereits versteigerten 5G-Frequenzen und für LTE-Mobilfunk haben Sie bis heute keine eigenen Forschungen zu nichtthermischen Gesundheitsrisiken beauftragt. Die zusätzliche Installation von tausenden 5G-Antennen wird diese Gesundheitsrisiken jedoch enorm verschärfen. Im Endausbau für das Internet der Dinge und das autonome Fahren werden in den Städten alle 100 Meter Sendeanlagen erforderlich. Und das bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem für 5G noch keinerlei Technikfolgenabschätzung vorliegt. Der Leiter des Technikfolgenausschusses des Bundestages nennt 5G ein „Experiment am Menschen“.[33] Der Review von Kostoff et al. (2020)[34] enthält eine umfassende Kritik an 5G, vor allem weil das Zusammenwirken verschiedener Funkfrequenzen mit anderen Noxen nicht erforscht ist. Zwei Expertisen für die EU warnen vor der 5G-Einführung.[35] So heißt es in einem Briefing für EU-Parlamentarier vom Februar 2020:
- „Folglich kann 5G zwar leistungsmäßig schwach sein, aber seine konstante künstliche Impulsstrahlung kann sich auswirken. Zusammen mit der Art und Dauer der Exposition scheinen Eigenschaften des 5G-Signals wie das Pulsieren die biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition zu verstärken, einschließlich der DNA-Schäden, die als Ursache für Krebs angesehen werden. DNA-Schäden werden auch mit dem Rückgang der Fortpflanzungsfähigkeit und neurodegenerativen Krankheiten in Verbindung gebracht ... Die jüngste wissenschaftliche Literatur zeigt, dass kontinuierliche drahtlose Strahlung biologische Auswirkungen zu haben scheint, insbesondere wenn man die besonderen Eigenschaften von 5G berücksichtigt: die Kombination von Millimeterwellen, eine höhere Frequenz, die Anzahl der Sender und die Anzahl der Verbindungen. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass 5G die Gesundheit von Menschen, Pflanzen, Tieren, Insekten und Mikroben beeinträchtigen würde – und da 5G eine noch nicht getestete Technologie ist, wäre ein vorsichtiger Ansatz angebracht.“
Gerade wenn man sich über die Studienlage nicht einig ist, es bei wissenschaftlicher Unsicherheit aber deutliche und zahlreiche Hinweise auf Risiken gibt, greift zwingend das Vorsorgeprinzip.[36] Ihre Rechtfertigungen der aktuellen 5G-Einführung in vielen Interviews wird weder in wissenschaftlichen Studien noch in EU-Dokumenten geteilt. Das alles verdeutlicht: Alle Versuche, die Kritiker dieser Technologie in eine unwissenschaftliche Ecke zu stellen, scheitern nicht nur an den Tatsachen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern sind auch eine Verharmlosung der Gesundheitsrisiken.
Verbraucherschutzregelungen sind notwendig
Ein nicht unerheblicher Anteil der Strahlenbelastung wird durch die mobilen Endgeräte der Nutzer verursacht. Hier ist Aufklärung über mögliche gesundheitliche Schäden dringend notwendig, zumal hier jede einzelne Person weitgehend Verfügungsgewalt über ihre individuelle Exposition hat. Wer soll diese Aufklärung leisten, wenn nicht das Bundesamt für Strahlenschutz und die Politik? Die Hersteller verstecken ihre Warnhinweise nach wie vor im Kleingedruckten, ebenso wie das BfS in Untermenüs auf seiner Homepage! Bei der Infrastruktur, also der Aufstellung von Mobilfunksendeanlagen, hat der Einzelne hingegen keine Einflussmöglichkeit auf die Wahl der Standorte und damit die Höhe der Exposition. Im zuvor zitierten EU-Briefing wird explizit darauf hingewiesen, dass bereits „in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, in den Vereinbarungen von Helsinki und andere internationale Verträgen“, anerkannt wird: „dass ein erklärtes Einverständnis“ vorliegen muss, „bevor es zu Eingriffen kommt, welche die menschliche Gesundheit beeinträchtigten. … Dieses Recht muss noch kontroverser diskutiert werden, wenn man die Exposition von Kindern und Jugendlichen in Betracht zieht.“ Wir können nicht erkennen, wo Ihr Amt diesem Rechtsanspruch der Bürger in seiner Arbeit gerecht wird.
Das Bundesamt für Strahlenschutz muss im Sinne des Prudent Avoidance-Prinzips und des verpflichtenden Vorsorgeprinzips dringend Schutzprinzipien formulieren. Eine Grenzwertanpassung auf ein hohes Schutzniveau, die der wissenschaftlichen Erkenntnis gerecht wird, ist überfällig. Überall, wo strahlungsminimierende technische Alternativen möglich und vorhanden sind, sollten diese vom BfS ausdrücklich gefordert werden. Die aktuelle Studienlage und insbesondere die Statements des ehemaligen ICNIRP-Mitglieds Prof. James Lin und die warnenden EU-Papiere wären jetzt eine gute Gelegenheit, dies zu tun. Über eine für die interessierte Öffentlichkeit bestimmte detaillierte Antwort auf diesen Brief würden wir uns freuen. Die Zeitschrift umwelt-medizin-gesellschaft ist bereit, Ihre Antwort auf diesen offenen Brief zu publizieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl.-Ing. Jörn Gutbier
Erster Vorsitzender von diagnose:funk
Peter Hensinger, M.A.
Zweiter Vorsitzender von diagnose:funk
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diagnose:funk schlägt dem Bundesamt für Strahlenschutz folgende Handlungsoptionen vor
1. Grundsätzliches zur Studienlage
Eine Neuinterpretation der Studienlage ist erforderlich, die sich nicht an der ICNIRP orientiert. Das EMF-Portal muss wieder finanziert werden, um Hochfrequenzforschungen zu dokumentieren und auszuwerten. Auf dieser Grundlage müssen neue Leitlinien zum Strahlenschutz erarbeitet werden, unter Beteiligung von Wissenschaftlern aller Fachrichtungen und diagnose:funk.
2. Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt aus und fördert folgende Forschungsprojekte
- Die Auswirkungen des hochfrequenten elektromagnetischen Frequenzmixes (GSM, UMTS, LTE, 5G, WLAN, Radar, UKW, DAB+, DVB-T, etc.) auf Zellen.
- Die Auswirkungen verschiedener Frequenzen in Kombination mit anderen Umweltnoxen.
- Die Machbarkeitsstudie zu den Auswirkungen auf Kinder, die bereits 2005 erarbeitet, aber nie umgesetzt wurde, wird in aktualisierter Form bearbeitet, mit dem Ziel, Langzeitstudien auf den Weg zu bringen.[37]
- Begleitforschung zu den Wirkungen auf den Organismus von moduliertem LED-Licht und LED-Infrarot-Strahlung, wie es bei VLC, einer Alternative zu WLAN, genutzt wird.
3. Politische Forderungen
- Anpassung der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung an den Stand der Forschung im Bereich der nieder- und hochfrequenten nichtionisierenden elektromagnetischen Strahlung.
- Zu allen Frequenzen von LTE und 5G werden Studien ausgeschrieben, nach Fertigstellung eine Technikfolgenabschätzung erstellt. Bis dahin muss ein Moratorium für 5G gelten.
- Keine weitere Zusammenarbeit mit der ICNIRP.
- Die Studien zu 5G werden nicht an Prof. Alexander Lerchl vergeben, sondern neu ausgeschrieben. Seine Statements, dass nichtionisierende Strahlung prinzipiell keine schädlichen Effekte haben kann, und seine Kronzeugentätigkeit insbesondere für die österreichische Mobilfunkindustrie disqualifizieren ihn für diese Tätigkeit.
- Ein Moratorium für 5G-Mobilfunk in allen Frequenzen bis eine Technikfolgenabschätzung vorliegt und ein gesellschaftlicher Konsens über die Ergebnisse hergestellt ist.
4. Verbraucherschutzregelungen
- Das Bundesamt für Strahlenschutz fordert, dass alle Geräte auch über einen Kabelanschluss zur Datenübertragung verfügen.
- Alle WLAN-Geräte müssen leistungsgeregelt und automatisch abschaltbar sein (Eco-WLAN).
- DECT-Dauerstrahler werden verboten.
- Vorsorgeorientierte Altersbeschränkung für die Nutzung von Smartphones.
- Smartphones müssen für Kinder Zeitbeschränkungen haben.
- Endgeräte wie z.B. Smartphones, Tablets und Spiele mit Funkanwendungen müssen bei hoher Strahlenbelastung diese anzeigen und vor dem Gebrauch warnen.
- Aufklärung über Risiken für die Fertilität. Aufklärung und Warnhinweise für Schwangere.
- Strahlenminimierungskonzepte für die Outdoor-Versorgung werden gefordert und gefördert – z.B. durch eine Trennung von Indoor- und Outdoor-Versorgung - verpflichtendes Roaming u.a.
- Mikrowellenbasiertes WLAN darf an Schulen und Kindergärten nicht standardmäßig eingeführt werden. Kabelgebundene Lösungen müssen Vorrang haben. Verbot von Dauerstrahlern in der Schule.
- Schulprojekte der VLC-/IR-Technologie werden mit wissenschaftlicher Begleitung gefördert.
- Schutz für Elektrohypersensible analog dem Nichtraucherschutz durch Schaffung mobilfunkfreier Zonen, u.a. in öffentlichen Gebäuden, Krankenhäusern und dem ÖPNV.
- Förderung und konzeptionelle Unterstützung strahlungsarmer Wohn- und Erholungsgebiete.
- Meldestellen für Elektrohypersensible z.B. bei Ärztekammern / städtischen Gesundheitsämtern.
- Anerkennung der Elektrohypersensibilität als Krankheit.
Quellen
[32] diagnose:funk (2011): WHO lehnt Prof. Lerchl's Mitarbeit ab. Zur Rolle der Strahlenschutzkommission, https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=355, Artikel vom 18.03.2011
[33] diagnose:funk (2019): 5G wie ein Realexperiment am Menschen, Audiointerview mit Prof. Armin Grunwald; https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail?newsid=1436, Artikel vom 18.07.2019
[34] Kostoff RN, Heroux P, Aschner M, Tsatsakis A (2020): Adverse healt effects of 5G mobile networking technology und real-life conditions, Toxicology Letters (2020)
[35] EPRS | European Parliamentary Research Service (2020) Autor: Miroslava Karaboytcheva, Members' Research Service PE 646.172, February 2020: "Briefing. Effects of 5G wireless communication on human health"
Blackman C, Forge S. 5G Deployment (2019): State of Play in Europe, USA, and Asia. Study for the Committee on Industry, Research and Energy, Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies, European Parliament, Luxembourg, 2019.
[36] Kühling W (2020): „Wissenschaft verkehrt, oder: Wie Gesetzgebung und Vollzug wissenschaftliche Erkenntnisse missbrauchen", umwelt-medizin-gesellschaft, Heft 1-2020.
[37] Schmid, Gernot et al. (2005): Forschungsvorhaben - Machbarkeitsstudie zur Untersuchung altersabhängiger Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf der Basis relevanter biophysikalischer und biologischer Parameter, Bundesamt für Strahlenschutz, 2005
Anmerkung: Auf der Seite des Bundesamtes für Strahlenschutz steht zu dieser Machbarkeitsstudie: "Eine umfassende Klärung der Frage eines möglichen höheren gesundheitlichen Risikos von Kindern durch HF-Exposition wird aufgrund der Vielzahl noch ungeklärter Einzelaspekte als derzeit nicht möglich erachtet." Die Hauptstudie wurde nicht durchgeführt, seit 2005 auch keine weitere Forschung zu Kindern in Auftrag gegeben. Dennoch wird vom BfS für Kinder Entwarnung gegeben. Dieser Vorgang wird in dem Artikel "Deutscher Strahlenschutz und Kinder - eine Geschichte von Unterlassungen -cui bono?" im dem diagnose:funk Brennpunkt "Risiken für Kinder durch die Strahlenbelastung von Smartphones, TabletPCs und WLAN sind besonders hoch" (S. 13-15) dokumentiert.
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